Eine neue Geographie des Exils? Staat, Konflikt und Migration im Nahen Osten

Ein Blogbeitrag von Jessica Isele

Flüchtlinge sind aktuell das Thema in Europa. Es gibt keinen Tag, an dem wir nicht in den Nachrichten mit neuen Problemen der Flüchtlingsströme konfrontiert werden. Oft geht es in den verschiedenen Beiträgen darum, dass die Länder überfordert sind mit den vielen Menschen, die in Europa Zuflucht suchen. Vielerorts gibt es Proteste gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte oder generell gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge. Europa sieht sich überfordert mit der aktuellen Lage. Aber wie geht man im Nahen Osten mit diesen Flüchtlingen um? Dort leben viel mehr Geflüchtete als in Europa. Kamel Dorai beschäftigt sich vor allem mit der Situation der geflüchteten Syrer in Jordanien und im Libanon. Auch die Lage der Palästinenser macht er zum Thema. In seinem Vortrag beleuchtete er den historischen Kontext der Flüchtlingsbewegungen. Er war selbst eine Zeit lang in Flüchtlingscamps und hat dadurch Einblicke in deren Alltag erhalten.

12083832_10204196519032634_676785970_nUm die Flüchtlingsströme zu verstehen, muss man sich mit der Situation im Nahen Osten beschäftigen. Ein zentrales Problem sind die Grenzziehungen in dieser Region. Dadurch wurden Familien getrennt, was auch ein Grund für die Migrationsbewegungen ist. In manchen Regionen gibt es entgegengesetzte Flüchtlingsbewegungen, so genannte „cross-movements“, wie zum Beispiel im Irak. Syrer flüchten in Regionen, aus denen Iraker weggehen. Auf der einen Seite gibt es strenge Grenzkontrollen und auf der anderen Seite viel illegale Migration. Aktuell gibt es circa sieben Millionen registrierte Flüchtlinge im Nahen Osten. Im Libanon sind ein Viertel der Bevölkerung Geflüchtete. Man versucht dort offizielle Flüchtlingscamps zu vermeiden, da man in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit solchen gemacht hat. In palästinensischen Camps hatte man beispielsweise mit illegalem Waffenbesitz Probleme. Auch die Verstädterung der Camps soll verhindert werden. Man hat Angst vor Parallelgesellschaften. Die geflüchteten Syrer leben deshalb meist über das Land verstreut in Zelten. Kamel Dorai deutete auch an, dass sich die Syrer im Libanon oder Jordanien nicht als Flüchtlinge sehen. Denn im Nahen Osten versteht man unter Flüchtlingen eigentlich Palästinenser. Diese befinden sich in einer schweren Lage. Ihr Flüchtlingsstatus gilt nämlich nur dort, wo sie sich niedergelassen haben. Das heißt, wenn sie diesen Ort verlassen, verlieren sie auch ihren Status. Mit der Lage der Palästinenser befasst sich aktuell kaum jemand, meist wird von syrischen Flüchtlingen gesprochen.

12527783_10204196500072160_4085304_nIn Jordanien gibt es Flüchtlingscamps, welche die Geflüchteten jedoch nicht verlassen dürfen, außer ein Jordanier bürgt für sie. Damit werden diese eingeschränkt, sie halten sich nur in den Camps auf. Diese Camps entwickeln sich mit der Zeit zu Städten, wie zum Beispiel das Zaatari Camp. Dieses ist zu einer Stadt geworden und hat einen großen Marktplatz auf dem man einkaufen gehen kann. Die Menschen versuchen sich Häuser aus den bereitgestellten Containern zu bauen. Sie möchten sich heimisch fühlen. Genau das ist aber das Problem, denn eigentlich sollten die Flüchtlingscamps nur temporäre Lösungen sein. Die Regierung möchte nicht, dass sich die Flüchtlinge dort häuslich einrichten und eine Art Stadt errichten. Aber ist es nicht normal, dass wenn diese Menschen die Camps nicht verlassen dürfen, sie sich selbst eine eigene Stadt errichten? Und dass man nach so langer Zeit ein Zuhause wünscht, dass nicht aussieht wie ein Container? Außerdem sollte doch langsam klar werden, dass die Menschen in nächster Zeit nicht nach Syrien zurückkehren können. Es gibt keine langfristige Flüchtlingspolitik in Jordanien oder im Libanon. Kritisch ist auch die rechtliche Situation der Geflüchteten. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 wurde vom Libanon nie unterzeichnet. Dadurch haben die Geflüchteten den Status von Gästen, aber nicht von anerkannten Flüchtlingen. So erhalten sie auch nicht die Unterstützung, welche ihnen zustehen würde. Sie haben zum Beispiel auch kein Recht auf Bildung. Es wundert daher nicht, dass viele keine Perspektiven sehen, nach fünf Jahren auf der Flucht.

Zuletzt spricht Kamel Dorai die so genannte Flüchtlingskrise in Europa bewusst an. Er stellt klar, dass es sich für ihn nicht um eine europäische Flüchtlingskrise handelt, da die meisten Geflüchteten sich im Nahen Osten aufhalten. Das versucht er auch mit dem Fokus seines Vortrags auf Jordanien und den Libanon zu zeigen. Dort halten sich aktuell mehr Flüchtlinge auf, als in ganz Europa zusammen. Er spricht auch davon, dass viele nach fünf Jahren in Europa ihre einzige Chance sehen und ihr letztes Geld verwenden, für die Flucht dort hin. Auch der IS hat dazu beigetragen, dass noch mehr Menschen fliehen. In Europa haben wir also nur mit einem Bruchteil dessen umzugehen, was die Länder des Nahen Ostens zu leisten haben. Es ist traurig zu sehen, dass sich die EU keinesfalls einig zeigt, über den Umgang mit den Geflüchteten. Es gelingt nicht, eine faire Verteilung auf die Mitgliedsstaaten zu beschließen. Sollte die EU nicht gerade auch solch eine Herausforderung gemeinsam bewältigen können?